Win-win muss anderes aussehen und sich anders anfühlen, darüber denke ich mit einem Staubsauger in der Hand nach. Wenn ich eine Sache nicht gern mache, ist es staubsaugen. Und dennoch musste ich genau das gestern tun, und zwar fast drei Stunden lang. (Es kommen gleich langweilige Baustellen-Datails…)
Mit einem lauten Industrie-Sauger haben wir den Estrich dafür vorbereitet, dass eine Grundierung und eine neue Ausgleichsmasse darauf kommt, nachdem die drei Wochen “alte” Ausgleichsmasse mit sehr viel Dreck und noch mehr Lärm ausgefräst wurde.
- Zur Freude unserer Nachbarn im Mehrfamilienhaus
- Mit mindestens drei Wochen Zeitverzug
- Mit erheblichen Mehrkosten
- Mit Handwerkern, die wir nach diesem Vorfall vermutlich nicht wieder sehen werden
Eine klassische Lose-Lose Situation. Und das alles warum? Weil beim ersten Mal gepfuscht wurde.
Was hat das mit Corona zu tun?
Ganz einfach. Wenn wir uns jetzt zu sehr beeilen, das “New Normal” zu postulieren, es für fertig zu erklären und zu versuchen so zu tun, als wäre das alles schon gut genug, werden wir (eventuell, unter Umständen) nicht glücklich damit.
Was wäre stattdessen ratsam?
Stille. Ruhe. Nachdenken. Uns mehr miteinander austauschen. Sichtbar machen, was wir brauchen, was uns wichtig ist. In einem Zoom Termin sagte jemand:
Verzweiflung lässt Mut für Veränderung.
Ja, darum geht es oft. Uns nicht zu schnell beruhigen. Nicht sofort zuschlagen, wenn etwas nach Lösung aussieht. Eine kreative Unruhe ertragen.
Vielleicht ist die Sommerferien-Saison ja ganz gut für so etwas?
Das erste Ding, das ich uns für die irgendwann sanierte Wohnung neu gekauft habe, ist ein Staubsauger-Roboter.
New Work und Roboter
Über New Work und Roboter denke und schreibe ich gern und viel. Wofür der Staubsauger-Roboter in meinen Gedanken steht, ist (leider) nicht unbedingt erfreulich: er soll mir Arbeit abnehmen, die ich nicht gern mache, damit ich mehr Zeit habe, um etwas anders zu tun.
Genau so sind wir in unserem jetzigen “old work” gelandet: über Aufgabentrennungen, über Optimierung der Arbeitsprozesse und über Spezialisierung.
Darum über ich mir ein anderes Mantra ein, welches für mich für New Work steht:
Ich habe einen Staubsauger-Roboter, damit er etwas tut, während ich mich ausruhen kann.
Nichtstun ist für mich eine echte Aufgabe. Vielleicht auch für dich?
Il dolce far niente
Das süße Nichtstun – auf Italienisch Il dolce far niente – ist für viele von uns eine echte Aufgabe. Wir sind so sozialisiert, dass wer sich ausruht, als faul gilt. Den ganzen Tag rumsitzen und Filme gucken oder Musik hören oder spielen – das tun doch nur die, die keine Arbeit haben.
Somit füllen wir uns jede Minute mit Arbeit. Die neuen Geräte – smart genannt – sorgen dafür, dass ununterbrochen etwas blink oder piept oder gewischt werden möchte. Wir sind beschäftigt, ja. Aber ist das Arbeit?
Und wie schwer ist es, zu versuchen, einfach nur da zu sitzen. Wahrzunehmen, was ist, zu spüren, was die Sinne wahrnehmen, zu sein.
Wie viel NEW ist in New Work?
Heute früh haben Nicole Anzinger und ich unseren vierten New Work Friday moderiert. Im Zentrum der Diskussion stand das Thema “Boss” und die Frage, inwiefern alles, was wir im New Work Dschungel dazu schreiben, überhaupt neu ist. Als Beispiel haben wir auf die Piraten geschaut, die bereits im 17. Jahrhundert weiter waren mit ihren Prozessen und Systemen als manch eine Organisation heute.
Kommt da ein “Ja, aber…”? Perfekt!
Zusammen haben wir einen Boss gezeichnet und dabei ganz tief in die Schublade unserer Vorurteile gegriffen. Vieles entsprach dabei aber auch unseren täglichen Erfahrungen. Bosse tragen dunkle Anzüge und Statussymbole, sind “bossy”, tun selber nichts, außer in Meetings zu sitzen…
Was hat das mit Corona zu tun?
Corona macht viele Aspekte unseres Arbeitslebens deutlicher.
- Wie viel Chef brauche ich, um produktiv zu sein?
- Warum können nicht alle Menschen sich selbst führen?
- Wie fühlt sich gute Führung an, wenn ich meinen Chef nicht sehen kann?
Und die Hauptfrage bleibt: reicht uns die Kraft der Krise, um die neu gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen nicht zu schnell in etwas zu gießen, das drei Wochen später mit viel Krach und Dreck wieder runter muss? (siehe Baustellen-Beispiel oben…)
Und noch eine Brücke zu einer anderen Passage da oben: wir haben die New Work Friday Teilnehmer gefragt, was New Work für sie ist. Die Antworten:
- New Work steht für das Sein. New Work ist das was wir leben würden wollen. Es ist Philosophie und Essenz des Menschen. Wir verlieren das Gefühl, was wir Wirkich, wirklich wollen durch die Sozialisierung
- New Work ist gesunder Menschenverstand
- New Work neu, weil wir Arbeit so noch nicht erlebt haben in unserem kollektiven Ergeben/Gedächtnis
- New Work ist ein Bewusstsein über die Strukturen, in denen wir arbeiten: wir haben die Verantwortung abgegeben, wir hinterfragen den Status Quo zu wenig
- New Work ist Identifikation mit dem was ich mache
Was wäre deine Antwort auf diese Frage?
Wir hosten demnächst übrigens ein New Work Journeython – HIER findest du die Details.
Win-Win Beispiel aus New Work
Der New Work Urvater, Fritjof Bergmann, hat propagiert, man solle einen drittel seiner Zeit etwas für Erwerb tun, einen Drittel für seine eigene Lust (siehe La dolce far niente!) und einen Drittel für die Gemeinschaft.
Ich hoste jeden Montag ein Remote Café für eine Community of practice von Moderatoren. Wir sind mittlerweile über 150 Leute, und jeden Montag lernen wir und diskutieren verschiedene Themen und Aspekte. Mit der Zeit sind wir immer mehr selbstorganisiert geworden. Immer wieder wurde ich gefragt, warum ich die Veranstaltung nicht mit einer Paywall versehe und dieses wunderbar funktionierende und populäre Format monetisiere.
Hier ist, was ich stattdessen tue. Ich lasse mir freiwillig per Paypal.me einen Cappuccino (mit und ohne Kuchen ;-)) bezahlen. Diesen Kaffeegenuss nehme ich immer in einem kleinen Bistro bei einer reizenden Lady bei mir um die Ecke. Das Bistro war nämlich währen Corona kurz vor dem aus. #supportyourlocals
So entsteht eine (in meinem Weltbild) Win-Win Situation: Die Montags-Crowd ist happy, ich kann Il dolce far niente unter Bäumen genießen, und die reizende Lady hat einen (kleinen und stetigen) Umsatz. Und weil das Bistro damit hoffentlich überlebt, bleibt für die ganze Nachbarschaft ein reizendes Plätzchen erhalten. Und das führt dazu, dass mehr Menschen die Gelegenheit haben, das süße Nichtstun zu genießen. Und das führt dazu, dass wir entspannter und liebenswürdiger werden als je zuvor.
More Shiny Eyes!
Mein Corona-Tagebuch
- Woche 1 (Stammhirn)
- Woche 2 (umlernen)
- Woche 3 (Raupen optimieren)
- Woche 4 (emotional)
- Woche 5 (nachdenklich)
- Woche 6 (baff)
- Woche 7 (Abbruch)
- Woche 8 (fragil)
- Woche 9 (Störung)
- Woche 10 (Digi-Tal)
- Woche 11 (skurril)
- Woche 12 (There is no “new normal”)
- Woche 13 (Mehr Karussel bitte!)
- Woche 14 (Dreimal DIE und einmal DAS)
- Woche 15 (Monopoly)
- Woche 16 (Kopfstand)
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