Wie drei Tage online Training am Stück gelingen

petranovskaja drei Tage online Training

In September, da war alles noch wie früher: ich konnte durch die Gegend reisen und meine Workshops und Trainings in schönen Hotelräumen unter Palmen gestalten. Im Oktober wurde klar, das war eine kleine Ausnahme in diesem Herbst. Mein Kunde meinte, wir sollten das Training, dass für die zweite November-Woche vorgesehen war, online gestalten. Viele Mails hin und her, es ist mir nicht gelungen, das dreitägige Format in kleine Stückchen zu schneiden oder teilweise asynchron zu gestalten, und es hieß: wir machen drei Tage nacheinander online Seminar zum Thema „Wirksam führen“. Zugegeben, ich war wenig begeistert.

Mein erster Impuls trieb mich – wie so oft – zu Twitter, und da habe ich gefragt: wie würdet ihr das finden, wenn ihr statt Präsenzseminar drei Tage in Microsoft Teams arbeiten müsst? Die Reaktionen waren gemischt. Manche fanden, man könnte sich sofort erhängen, denn das gehe gar nicht. Andere wiederum meinten, das ginge alles, man müsse es nur richtig aufbauen. Leider hatte ich zum aufbauen oder umbauen oder didaktisch durchdenken nur eine knappe Woche.

drei Tage online Training

Zwei Wochen später nun sitze ich hier und strahle, wie ein Honigkuchenpferd. Die drei Tage Training waren großartig! Die Teilnehmer waren zwar müde, aber dennoch nicht weniger von dem Thema Führung begeistert, wie ich das aus den Präsenzseminaren kenne.

Was habe ich nun angestellt, damit das so wird?

People over Tools

Auf der Rückseite meiner neuen Wondercards habe ich drei Prinzipien aufgeschrieben, mit denen ich grundsätzlich jede meiner Moderation gestalte. Das Prinzip Nummer eins steht hier: People over Tools.

Die erste Aufregung, ich müsste das Training in Microsoft Teams gestalten, war natürlich komplett unnötig. Schließlich geht es nicht darum, ob ich meine Lieblingsübungen in einem online Tool gestalten kann. Viel mir ist es wichtig dass die Teilnehmer ein Erlebnis haben, dass sie zum nachdenken, reflektieren und miteinander austauschen einlädt. Und dieses geht – so habe ich das dieses Jahr von anderen erfahrenen Moderatoren gelernt – auch komplett ohne fancy Tools.

Die Haltung entscheidet.

Statt also die normale Menge von Material, Modellen und Übungen in die drei Tage zu quetschen, habe ich mich gefragt: was brauchen meine Teilnehmer jetzt, Mitte November 2020?

Am Ende des dritten Tages hat sich rausgestellt, dies war eins der Erfolgsrezepte für drei Tage gemeinsam online arbeiten und dennoch

  • viel mitnehmen
  • viel lernen
  • viel Spaß haben und
  • gar nicht so abgelenkt sein von den Technologien.

Wie immer in meinem #noagenda Format, fange ich das Training damit an, dass die Teilnehmer sich möglichst gut untereinander beschnuppern und vernetzen können. Dazu lade ich sie ein, in Paaren miteinander zu sprechen und danach einander im Plenum vorzustellen. Da die Teilnehmer nicht sich selbst, sondern einander vorstellen, müssen sie ganz anders zuhören, wenn sie in der Übung sind.

Nach dieser Vorstellungsrunde wird ganz deutlich, worum es in diesen drei Tagen Training geht: um Menschen. Es geht darum, wer gerade hier ist. Es geht darum, was die Teilnehmer jetzt gerade brauchen, was sie an Erfahrung bereits mitbringen und wie sie einander wahrnehmen. Diese sehr einladende Atmosphäre wird immer wieder im Feedback erwähnt. People over tools eben.

Was sonst in diese Kategorie gehört: ganz viel didaktische Abwechslung. Denn wir wissen, unser Gehirn kann selten länger als 45 Minuten am Stück fokussiert arbeiten. Darum wechsle ich in diesen drei Tagen reichlich Formate, Methoden, Tools, Ansätze und Spielarten. Was bei der ersten Durchführung noch sehr anstrengend ist, wird sicherlich mit jedem weiteren Format zur neuen Gewohnheit.

Pull over push

Mein zweites Geheimrezept ist ganz klar: ich bin nicht die Quelle der Weisheit. Meistens sind die Teilnehmer so erfahren, dass es völlig ausreicht, dass sie einander die Fragen, die sie beschäftigen, stellen und einander ihre Antworten darauf liefern.

Damit es zu diesen Konversationen kommt, lasse ich in dem #noagenda Format die Teilnehmer ihre Lernziele formulieren. Aus der Summe der Lernziele entwerfen wir als Gruppe unsere gemeinsame Agenda. Wir stimmen über die Reihenfolge der Themen ab und auch darüber, wie viel Zeit wir den einzelnen Themen geben.

Meistens machen sich die Teilnehmer am ersten Tag noch Sorgen, wie wir denn die zahlreichen Themen in so kurzer Zeit bearbeiten möchten. Spätestens hier entsteht der Pull Effekt, und die Teilnehmer fangen an, das Training aktiv für sich zu nutzen, sich auszutauschen und an ihren Themen zu arbeiten.

Damit ist die Verantwortung für den Erfolg des Trainings nicht allein auf meinen Schultern gelagert. Vielmehr ist die Gruppe in der Lage, die Menge und die Tiefe der benötigten Informationen untereinander abzustimmen und sich nach und nach zu entscheiden, wie sie zu den benötigten Antworten kommt.

Flow over Plan

Die dritte Geheimzutat ist ganz klar der Flow.

Da ich selber sehr verspielt bin, lasse ich auch meine Teilnehmer regelmäßig in den so genannten Lernprojekten erfahren, was es bedeutet, wenn etwas nicht richtig abgestimmt, entschieden, vereinbart oder kommuniziert wird. Wir können sowohl miteinander lachen als auch sehr ernst die Konsequenzen von schlechter Führung besprechen.

Nach so einem Lernprojekt (es heißt sonst vielerorts „Spiel“) sind die Teilnehmer meistens sehr gerne bereit, in kleinen Gruppen ihre Erfahrungen zu vertiefen oder an Lösungen für ihre spezifischen Fälle zu arbeiten. Oder wir entscheiden uns dafür, uns mithilfe eines Modells tiefer zu verstehen, unser Handeln zu reflektieren oder neue Verhaltensmöglichkeiten abzuleiten.

Ich frage die Teilnehmer stets, wie viel Energie sie noch haben – denn Energie ist wichtig für den Flow. Wenn die Gruppe wenig Energie hat, braucht es mal wieder ein Lernprojekt.

Dass die Lernprojekte online mindestens genauso gut durchzuführen sind, wie in einem echten Raum, haben wir in diesem Sommer alle gelernt (darum habe ich viele Karten in dem neuen Wondercards-Set ausgetauscht). Ich freue mich sehr, das ist meistens sehr wenig braucht, um an einen Aha-Moment zu kommen.

Das waren sie nun, meine Erkenntnisse aus drei Tagen online Training. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch in Zukunft unsere gewohnten Formate so in die neue Welt überführen, dass das Lernen überall auf der Welt stattfinden kann.

Wenn du weitere ideen für gelingende online Formate hast, so teile sie gern hier ind en Kommentaren.

Beste Grüße

petranovskaja Unterschrift signatur

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