Grüß Gott! sage ich, und neben mir kichert es. Ich bin in Bayern, auf ein verlängertes Wochenende, zusammen mit M. und N., beides meine Kolleginnen (und das bedeutet für uns Selbständige: wir verstehen einander gut!)
Nach vielen Monaten Verwirrung, Lockdown, virtuellen Meetings und Unsicherheit tut ein Wochenende im Schnee und weitab der sonstigen Routinen mehr als gut. Wir schlafen wenig, reden viel und gehen zwischen kleinen Dörfern, die keiner kennt, spazieren. Grüß Gott! sage ich dann immer, wenn ich den Jesus sehe, und das kommt oft vor. Ich will nicht despektierlich erscheinen, ich bin von diesem Kulturaspekt sehr angetan.
Später sinnieren M., N. und ich zu dritt darüber, was die Welt wohl in 2022 am meisten braucht. Die Arbeitswelt ist dabei insbesondere im Fokus, weil wir dort unsere Kunden haben und ihnen eine gute Unterstützung sein wollen. Wir arbeiten mit Lego, das ist eine gute Brücke für die beiden Gehirnhälften. Die Hände suchen Formen, die Augen suchen Farben und Bilder, die Lippen sind für Wörter zuständig, und ab und zu wird mein Atem schneller, weil ich das Gefühl habe, etwas Wichtigem ganz nah zu sein.
Hund, Katze, Maus… ähm, Kaninchen!
Eine erste Erkenntnis gewinnen wir über die Bilder von Hund, Katze und … nein, nicht Maus, Kaninchen. In dem (für manche bereits leidigen) Thema, von wo nun demnächst gearbeitet wird (zuhause oder im Büro), steht der Hund für all die Mitarbeiter, die sich mit allen im vertrauten Office treffen möchten. „Hunde“ wollen ihre ganze Sippe beisammen haben und sich über die Vollständigkeit des Rudels freuen.
Die „Katzen“, die brauchen kein Rudel. Sie lehnen das Büro nicht grundsätzlich ab, haben jedoch die Vorteile des remote Arbeitsplatzes für sich kennengelernt und würden auch in Zukunft gern in ihrem eigenen Tempo in den eigenen Wänden für das Bruttosozialprodukt kämpfen. Die Begeisterung der „Hunde“ finden die „Katzen“ anstrengend.
Und dann wären da noch die Kaninchen. Das ist so ein Typ Mitarbeiter / Mensch, der beides Braucht: Schutz und Ruhe. Unsicherheit, was nun besser sei, ist oft an der Tagesordnung. Die Kaninchen verstehen sowohl die Katzen als auch die Hunde und können jedoch weder vermitteln noch eine klare Entscheidung treffen. Manchen Kaninchen kann man es auch mit nichts recht machen: weder mit einer klaren Vorgabe, wann und wo gearbeitet wird, noch mit einer Freiheit für die Selbstentscheidung.
Wie, wann und wo arbeiten wir in 2022?
Wir glauben, viele Unternehmen werden in diesem Jahr in solchen Diskussionen und Situationen sehr viel Reibungsverlust haben.
Wir wollen sie dabei begleiten, es zu verhindern. Zum Glück war noch mehr Lego da, also haben wir weiter mit den Händen gedacht und uns gefragt, was unsere Lösung für diese Situation wäre.
Bestimmt war uns meine Begeisterung für die bayerischen Traditionen und „Grüß Gott“ eine große Inspiration. Nachdem wir kurz über das Bedürfnis nach gemeinsamen oder geteilten Werten gesprochen haben, kam der Begriff „Ritual“ ins Spiel. Auf unserem Lego-Brett war das ein Maibaum. Folgende Merkmale der Maibaum-Tradition waren für uns relevant:
- gebunden an ein festes Datum
- kann in jedem Ort aufgestellt werden
- auf dem Maibaum werden die Gilden (die Stärken/Qualitäten) des Ortes sichtbar gemacht
- es gibt die (spielerische) Variante des Rituals – mit Maibaum entführen
- zu der Tradition des Aufstellen gehört das obligatorische Essen, Trinken und Tanzen dazu – alle kommen zusammen und sind ansonsten einfach nur da
Übersetzt für Hunde, Katzen und Kaninchen dieser Arbeitswelt könnte eine neue Tradition, ein neues gemeinsames Ritual geschaffen werden, welches die verschiedenen Qualitäten (oder auch verschiedene Bedürfnisse/Werte) der Gruppe sichtbar macht. Natürlich hatten wir als Moderatorinnen und Trainer sofort zig Ideen für die konkrete Ausgestaltung der Formate dazu. Das Jahr 2022 kann nun so oder so sein, wir haben unseren Fokus gefunden.
Exkurs: über Rituale
Rituale gibt es sowohl im familiären Umfeld, persönlichen Tagesablauf als auch im Arbeitsleben. Ein Ritual ist ein nach (oft unbewusst gewordenen) vorgegebenen Regeln ablaufende Handlung mit hohem Symbolgehalt und sozial bedeutsamen Wiederholungen, die uns
- Orientierung gibt (Gebet, Gericht, Betriebsversammlung etc.)
- Zeitläufe strukturiert (Geburtstag, Feiertag)
- Komplexität reduziert (z.B. Entscheidungsvorschriften)
- Zugehörigkeit bestärkt (z.B. Führungskräftemeetings)
- Negative Emotionen abfedert (z.B. Verabschiedungen)
In Organisationen entstanden Rituale früher häufig unkontrolliert, z.B. in der Kaffeeküche, bei regelmäßigen morgendlichen Flurgesprächen oder beim gemeinsamen Lunchverabredungen – durch Begegnungen und Wiederholungen. In der Corona-Zeit konnten viele Rituale (wie zB gemeinsames Frühstück) nicht ausgelebt werden. Gleichzeitig entstanden neue Rituale. Nun geht es darum, in der jetzt bewusst zu gestaltender neuen Zeit auch das Thema Rituale neu anzuschauen und zu fördern, damit das Wir-Gefühl trotz aller zeitlichen und räumlichen Grenzen bestehen bleibt oder sogar gestärkt wird.
Zu diesem Thema werden Nicole Anzinger und ich in 2022 ein New Work Workshop anbieten ;-)
Moin Digga!
Zurück in Hamburg habe ich – mal wieder – festgestellt, wie wichtig es mir ist, unterwegs zu sein und Neues zu sehen. In einer Umgebung, die meine Synapsen kitzelt – und sei es vorerst nur über Jesus im Wald – kommt automatisch neues Sehen dabei zustande. Ich erkenne andere Zusammenhänge und kann daraus viel mehr Möglichkeiten ableiten als vorher.
Außerdem ist der Erholungseffekt eines Wochenendes immer noch sehr unterschätzt. Aus 2-3 Nächten woanders entsteht stets das Gefühl, eine Ewigkeit unterwegs zu sein. Die sechsstündige Zugfahrt von München nach Hamburg hat dieses Gefühl nur noch bestärkt.
Ich vermisse den Schnee und den Gott am Waldweg. Die Hamburger haben dazu ihren eigenen Humor:
Ein Hamburger sitzt mit seiner Astra-Pulle an den Landungsbrücken, schaut auf die Schiffe und den Hafen. Als die Sonne langsam hinter den Kränen verschwindet, setzt sich Gott neben ihn und tut es ihm gleich. Nach einigen Minuten nimmt der Hamburger all’ seinen Mut zusammen und fragt ehrfürchtig: „Mien Gott, watt moogst Du denn bi uns in Hamburch?“ Gott antwortet: „Home-Office, Digga, Home-Office…“
In diesem Sinne: ich gehe arbeiten. Auch wenn ich mein Home office langsam sehr gern gegen andere Räume eintauschen will, um mit Menschen zusammen zu kommen… Die Sehnsucht ist groß, und ich mutiere gerade ganz deutlich von Katze zum Hund.
Wie steht es um dich? Was ist deine größte Sehnsucht gerade?
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