Warum ich nicht mehr auf Social Media bin

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Die Stille in mir ist gleichzeitig eine Sehnsucht und ein Graul. Nichts tun müssen, um einen Algorithmus oder meiner Crowd zu gefallen hat einen Preis: ich weiß nicht, ob mich irgendjemand da draußen lieb hat. Keine Sternchen, keine Herzchen, keine virtuellen Komplimente.

Vielleicht nicht endgültig aber vorerst bin ich nicht mehr auf Social Media Kanälen präsent. Twitter ist bereits seit Januar 2022 still, selbst der legendäre “Endlich Montag!” Tweet, mit dem ich seit fast 10 Jahren die Woche gestartet habe. Nun auch Instagram und Linkedin. Facebook war noch nie mein Kanal.

Warum mache ich das? Rationale Gründe wären natürlich so was wie Zeit und Aufwand, aber ganz ehrlich? Darum geht es mir nicht. Es ist vielmehr eine große Sehnsucht nach einer Begegnungsqualität, die ich wie einen Duft in der Luft vernehme, und diese Qualität – so glaube ich zu spüren – braucht neue Wege.

Subbotnik

Ich räume gern auf. Loslassen und Platz machen für Neues waren schon immer meine Stärken. Ich kann auch recht radikal sein und Dinge ausmisten, mich von Dingen trennen. Mein Umzugswagen ist seit je her sehr klein. Ich glaube manchmal, Menschen haben Angst vor dem vielen freien Platz, den sie auf einmal hätten. Was soll man bloß mit einer leeren Garage? Oder mit einem leeren Kalender?

Letzteres ist übriges ein Fun Fact aus vielen Führungskräfte-Trainings. Ich frage oft, was die Teilnehmer tun würden, wenn sie nur 4 Tage arbeiten müssten. Stille. Verlegenes auf die Lippe beißen. Kein Bild im Kopf. Haben wir es tatsächlich verlernt, einfach mal rumzusitzen und aus dem Fenster zu schauen?

Subbotnik ist übrigens etwas, was ich in meiner Kindheit in UdSSR gelernt habe. Man trifft sich an einem Samstag und räumt auf. Die Schule, die Stadt, den Park. In meinem erwachsenen Leben habe ich das für Coachings übersetzt. Wir räumen in unserem Leben auf. In den Kontakten, in den Schränken, in den Träumen. Muss natürlich nicht an einem Samstag stattfinden, aber Rituale sind sehr hilfreich.

Dolce Far Niente

Ich kann das gut, das süße Nichtstun. Ich könnte ganze Wochenendkurse darin geben. Die aufsteigende Lautstärke der inneren Stimmen aushalten, weil das Außen plötzlich still ist – das ist die wahre Arbeit an sich. Keine Coaching-Aufgaben, keine fancy Übungsblätter zum Ausfüllen. Nur die Zeit, die Stille und du selbst. Wer das beherrscht, der wird auch nie ein Konflikt in irgendeiner Beziehung haben. Aufgeräumtes inneres Zuhause.

Und genau das verhindern Social Media Kanäle. Weil deren Aufgabe klar ist: dich möglichst lange dort behalten. Keins dieser Produkte ist darauf ausgelegt, dass du in 10 Minuten alles “erledigst”. Du sollst nicht dein Netzwerk Pflegen, dich informieren und weiterbilden, Spaß haben und andere influenzier können in 10 Minuten. Nein, dein “Nichtstun” soll dort drin stattfinden, es ist quasi die Vorstufe zum Metaverse.

Der Preis der Stille

Die Stille in mir ist gleichzeitig eine Sehnsucht und ein Graul. Nichts tun müssen, um einen Algorithmus oder meiner Crowd zu gefallen hat einen Preis: ich weiß nicht, ob mich irgendjemand da draußen lieb hat. Keine Sternchen, keine Herzchen, keine virtuellen Komplimente.

Wer bin ich, wenn ich nicht auf Social Media bin? Bin ich überhaupt? Brauche ich diesen Resonanzraum, um mich selbst zu sehen, zu hören, zu spüren? Wie sozial ist das Ganze überhaupt mit den permanent angepassten Algorithmen, die genau vorschreiben, was man tun soll, um gesehen zu werden. Schlimmer als jeder Schulhof!

Seit ich meinen Abschied auf Linkedin laut und auf Insta leise vollzogen habe, sind wunderbare Dinge passiert. Türen zu schließen hat sich in meinem Leben schon immer gelohnt, und der heutige Schritt – welcher mir weiß Gott nicht leicht fiel – wird nicht das letzte Aufräumen dieses Jahr bleiben.

2013 grüßt 2022

2013 schrieb ich diesen Blog ganz anders. Sehr blumig, selbst für mich selbst schwer zu verstehen und dennoch recht klar. Hier ein Zitat aus einem dieser bemerkenswert merkwürdiger Texte:

nochmal von vorn, nochmal zum ersten Mal etwas tun und dabei ein Herzklopfen haben, das in Australien hörbar sein wird.

Doch ich bin furchtlos. furchtlos und aufgeregt. ein Gefühl des Fliegens ohne zu wissen wie man landet. eine Gewissheit, dass es richtig ist.

Nadja, 2013

Die letzten drei Sätze sind so was non Nadja, dass ich mich vor mir selbst verneigen könnte. Wenn das denn ginge… Was ich stattdessen tun werde? Ich nehme mir vor, wieder so zu schreiben wie ganz am Anfang in diesem Blog. Furchtlos. Ohne Rücksicht auf SEO und wie die ganzen digitalen “du-musst” Dinge heißen.

Nichts macht aktuell so viel Spaß, als ich selbst zu sein. Aufgeräumt, klar, fröhlich. Es sind verwirrende Zeiten. Wenn ich dir dabei helfen kann, deine Klarheit zu finden, immer gern!

petranovskaja Unterschrift signatur

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4 Comments

  1. Willkommen im Club der Ausgestiegenen :-)

    Reply
    • das ist ein toller Club!

  2. Nachdem ich die Idee eine ganze Weile von allen Seiten betrachtet hatte habe ich mich “spontan” entschlossen, der Dezember 2022 wird für mich ohne soziale Medien ablaufen.
    Ich bin jetzt schon gespannt, was das mit mir machen wird und freue mich über gewonnene Zeit, Ruhe und Fokus.
    Und kaum hatte ich begonnen, diese Entscheidung meinem Umfeld mitzuteilen, gab es schon massives Unverständnis (vorsichtig ausgedrückt). Es scheint sich also zu lohnen.

    Reply
    • “Es scheint sich zu lohnen” ist eine wunderbare Quintessenz! Ich bin jetzt von sehr vielen Menschen angesprochen haben, die sich ein Leben mit weniger Rauschen wünschen, jedoch nicht davon wegkommen, permanent das Geschehen auf den verschiedenen Kanälen zu checken. Mein Erfahrung mit 4 Wochen ohne ist: es lohnt sich! Und mit Menschen, die wissen wollen, wo ich bin und was ich tue, bin ich auf anderen Wegen verbunden.

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