Mein Vater war viermal verheiratet. Seite vierte Frau ist leider vor fünf Jahren gestorben, und er ist darüber immer noch traurig, und daran erkenne ich ganz klar, dass sie sein Soul-mate war. Zusammen waren die beiden definitiv stärker und bunter als die Summe der Einzelteile.
Mit der dritten und der zweiten Frau von meinem Vater ist es etwas anders. Ich glaube, die beiden sind für ihn als Personen eher so etwas wie “Stretch-mate” ein Wort, das ich letztens erst kennengelernt habe.
Ein Stretch-mate ist jemand, der uns zum Wachsen einlädt und zum Verlassen unserer Komfortzone, und als solche ist die Person, die eben dieses Soul-mate darstellt, nicht automatisch angenehm. Vielleicht ist diese Person sogar eher das Gegenteil einer Soul-mate Person?
House of Beautiful Business
Jetzt kommst du vielleicht und fragst, was diese ganzen Geschichten mit mir und dir und der Arbeitswelt zu tun haben… Du hast Recht, lass uns das anschauen.
Es gibt eine Community, die nennt sich “House of Beautiful Business“, und dort geht es um genau das. Eine Welt, in der Business schön ist. Angenehm, menschlich, ästhetisch, herausfordernd und schmeichelnd. Auf keinen Fall ist das Business in der Vorstellung dieser Community dreckig, anstrengend und unmenschlich.
Und diese Community veranstaltet ab und an sehr spannende Formate. Für mich doppelt interessant: durch die berufliche Brille lerne ich etwas für meine eigene Moderation. Privat lerne ich durch emotionale Erfahrungen. Zum Beispiel als Teilnehmerin von dem “15 Toasts” Dinner, welches am vergangenen Freitag stattfand.
Das Format folgt einer Tradition, die 2019 entstanden ist:
Wir luden 15 Teilnehmer eines globalen Gipfels des Weltwirtschaftsforums in Abu Dhabi zu einem intimen Abendessen ohne Konferenzcharakter ein. Wir wollten, dass sich der Abend eher wie eine Hochzeit anfühlt als wie eine Podiumsdiskussion. Wir wollten, dass unsere Gäste bewegt und verbunden sind, wenn sie gehen. Und wir wollten einen Raum schaffen, in dem Führungskräfte, die normalerweise auf der Hut sind, die Möglichkeit haben, einfach gemeinsam das Brot zu brechen und über die Dinge zu sprechen, die ihnen am wichtigsten sind.
Tim Leberecht & Priya Parker, Formaterfinder
Und so saß ich am Tisch mit 14 Leuten, die ich noch nie vorher gesehen habe. An der Garderobe schon sollten wir unsere Nachnamen und unsere beruflichen Rollen/Bezeichnungen zusammen mit der Jacke “abgeben”. An diesem Abend sollten sich ausschließlich Menschen begegnen.
Ein magischer Start!
Toast Nummer 7
Eine besondere Regel an diesem Abend lautet: Tests können jederzeit gesprochen werden, wer jedoch als letzter an der Reihe ist, soll seine Geschichte singen. Das Thema des Abends – “Soul-mate & Stretch-mate” – war so sehr Vorgabe wie die Aufforderung, etwas Persönliches mit der Gruppe zu teilen.
Und so hörte ich bewegende Kurzgeschichten über Großmütter und Nachbarn, Lehrer und Schüler, Seifenblasen und Reflexion, Freundinnen und schwarze Raben.
Ich wollte nicht singen. Schon gar nicht vor einer Gruppe mir unbekannten Menschen. Also habe ich in einer Sprechpause mit meinen Tischnachbarn nervös mit dem Messer gegen das Glas geschlagen und stand auf für den Tost Nummer 7.
Mein Vater war viermal verheiratet, das erzählte ich. Und dass die zweite Frau meines Vaters meine Mutter war. Dass ich selbst fast 20 Jahre verheiratet war, meinen Examen jedoch weder zu der Soul-mate noch zu der Stretch-mate Kategorie ordnen würde. Ich bin ihm für so vieles dankbar, doch ich bin auch ehrlich.
Es waren andere Menschen, die meine Soul-mates waren und ebenfalls andere Menschen, die meine Entwicklung gefördert haben, indem sie unerbittlich ehrlich zu mir waren. Meine Mutter zum Beispiel ist bis heute unerbittlich ehrlich zu mir, und so war sie auch stets zu meinem Vater.
15 Toasts zu Soul-mates und Stretch-mates
Und so bemerkte ich bereits in der Vorbereitung meiner Rede am Vorabend, dass ich keinen Toast auf eine Person aussprechen möchte. Viel mehr wollte ch auf einen Gegenstand anstoßen, der in jedem Haushalt und in jedem Büro vorhanden ist. Ein Gegenstand, das so sehr Geduld aufbringt wie Ungeduld. Dass zwar nichts verlangt, jedoch fordernd ist. Ein Gegenstand, das Trost spenden kann und Hoffnung. Inspiration liefern kann und motivierend in den Tag begleiten.
Und nein, die Rede ist weder vom Kaffee noch vom Whisky.
Ich bin diesem Gegenstand immer wieder aufs Neue dankbar, weil es – ungleich den Menschen in meinem Leben – die Rollen von Soul- und Stretch-mate in sich vereint. Es ist weise, ohne zu sprechen und offen, neugierig zugleich.
Die Rede ist vom weißen Papier.
Wie oft schon saß ich vor genau so einem Blatt und wußte nicht, was ich schreiben soll… Und mindestens genau so oft füllte sich das Blatt mit Tinte, und daraus entstanden innige Beziehungen zu mehreren Aspekten meiner Person. So wie eins meiner Lieblingsbücher sagt “New Work needs inner work”, so wird emir durch dieses 15 Toasts Format klar: wir sind das Abbild unserer Geschichten, und unsere Geschichten sind Abbild von uns.
Darum lasst uns bei der Arbeit mehr Geschichten erzählen. Mit und ohne Überschrift, mit und ohne Singen. Lasst uns teilen, was uns bewegt und lasst uns einander zuhören, bis spät in die Nacht. Lasst uns offen und neugierig sein. Emphatisch und schillernd. Traurig, empört und zufrieden.
Zurück an die Arbeit!
Mein Herz pochte, als ich mich nach meinem Toast setzte. Ich habe die verbleibenden Reden und Toast Ansprachen mit großer Freude genossen, inklusive der zuletzt gesungener Version.
Das Format “15 Toasts” hat gezeigt, wie viel Inspiration und Weisheit wir in uns tragen. Wie sehr Geschichten uns auf der menschlichen Ebene verbinden. Tränen und Lachmomente, Erinnerungen und Fragen. Können wir in der Arbeitswelt so eine Beziehung schaffen, in der unbekannte Menschen sich nach 5 Stunden bereits extrem vertraut fühlen? Ein Abend, der Verbundenheit schafft und einen starken Wunsch, die Tür zur Außenwelt zu schließen und noch eine Weile an diesem Tisch zu verweilen, in der Geborgenheit der echten Konversation… Magisch vom Start bis zum Abschluss.
Und natürlich werde ich das Format in meinem beruflichen Leben ausprobieren. Es ist aus meiner Sicht einfach dingend an der Zeit, starke Gemeinschaften zu bauen, und diese Gemeinschaften haben weniger mit unseren Aufgaben zu tun, mehr mit uns und mit unseren Geschichten.
Und solltest du mal einen Soul-mate oder einen Stretch-mate in deinem Leben brauchen, setze dich mit einem Blatt Papier und einem Schreibgerät an deinen Schreibtisch und starte ein Gespräch mit dir selbst.
Einen guten Genuss wünscht dir
Photo by Kelly Sikkema on Unsplash
Danke fürs Teilen Liebe Nadja. Es hat mir sehr gut gefallen. Ich selbst liebe solche kurze oder auch lange Geschichten. Das mit dem
Schreiben finde ich auch Super. Ich muss es ausprobieren. Liebe Grüße. Norberto
:-) ich bin gespannt, was du daraus machst!