Über die Angst vor Robotern habe ich schon Mal geschrieben. Der folgende Artikel basiert auf der Keynote, die ich als Netzwerkpartner der change factory auf der Fujitsu World Tour 2019 in Moskau gehalten habe. 7 Minuten Lesezeit. Kommentare und Fragen willkommen!
Prolog
Fear, Nadja, like joy, usually means that you’re exactly where you should be, learning what you’re ready to learn, about to become more than who you were.
Whoohoo!!
The Universe
Angst vor Robotern: Wo wir herkommen
Die Welt, die wir kannten, verwandelt sich. Es liegt an uns, die neue – morgige – Welt zu gestalten und uns darauf vorzubereiten, was sie uns bietet. Wie bei allen Sachen, Dingen und Themen, die noch ungewiss sind, ist es aus meiner Sicht äußerst menschlich, dass wir aufgeregt und erregt sind und dem “Braten” noch nicht trauen.
Woher kommt das Mistrauen?
Vielleicht aus dem Verstehen des Mooreschen Gesetzes, welches besagt, dass die Technologie sich sprunghaft entwickelt und uns (Homo sapiens) in unserer linearen Entwicklung irgendwann überholen wird. Die möglichen Szenarien dieser Entwicklung sehen sicher unterschiedlich aus…
Wenn wir bei nur den beiden oberen Szenarien bleiben, geht uns in beiden Fällen etwas durch die Lappen. Ich finde, dieses archaische “Wer besiegt hier wen?” Denken gehört nicht ins 21. Jahrhundert.
Vielleicht kommt das Mistrauen gegenüber der neuen Technologie auch aus unseren bisherigen Erfahrungen mit unseren Taten und Werken. Nehmen wir nur die Atombombe (wir haben hoffentlich viel daraus gelernt). Den ökologischen Zustand unseres Planeten (vielleicht schaffen wir es noch, dass es hier nicht so viel zu bereuen gibt). Den freiwilligen Verzicht auf das Klonen von Menschen (bevor wir etwas zu bereuen haben).
Vielleicht kommt das Mistrauen aber auch aus den jüngsten Erfahrungen mit der Technologie. Wir wir uns zwar im Restaurant treffen, aber alle auf unsere Smartphones schauen. Wir wir uns zu Meetings treffen, aber statt miteinander zu reden, fleißig in die Tasten hauen. Oder das #FOMO – Fear Of Missing Out – die neue gesellschaftliche Technik-Abhängigkeit.
Experten nehmen an, dass hinter dem Phänomen eine Überforderung steckt, denn die Menge an Information, die man über soziale Netzwerke erhält, ist zu groß. FOMO tritt sowohl bei Menschen auf, die nur gelegentlich soziale Netzwerke verwenden, als auch bei jenen, die sie exzessiv nutzen. Der Zustand wird häufig als ein Syndrom für das kommunikations-beherrschte Zeitalter angesehen.
https://www.wikizero.com/de/Fear_of_missing_out
ICD-11, der WHO Katalog der weltweit normierten Krankheiten, führt “gaming disorder”, eine andere technik-basiertes Phänomen, bereits ab 2022 ein. Traurig, aber wahr.
Angst vor Robotern: Wo wir stehen
Da stehen wir nun, mit einem Mistrauen gegenüber unserer Zukunft und einer Höllenangst gegenüber der Technologie. Die Roboter nehmen unsere Jobs weg! Die Daten, die erhoben werden, werden gegen uns genutzt! Die selbstfahrenden Autos überfahren Fussgänger!
Tatsächlich kann ein Schimpanse auf dem Smartphone fast das Selbe machen, was wir können (kennst du dieses Video?). Wir wissen, wie wir früher mal gearbeitet haben:
Und vielleicht – da schauen wir ja alle zusammen in eine große Kristallkugel – vielleicht tritt tatsächlich ein, was wir weder verstehen noch kennen. Die Welt verändert sich in den nächsten Jahren mehr, als sie es in den letzten 300 Jahren tat.
Schauen wir auf unsere Berufe hin: 40 bis 60% unserer heutigen Tätigkeiten können digitalisiert und von Maschinen übernommen werden (und der Gerd Leonhard sagt, das wird so kommen). Als Überprüfung deiner eigenen Zukunft kannst du folgende kurze Aufgabe machen:
Schreibe eine Liste mit Tätigkeiten auf, die du ungern machst. Beschreibe jede davon in ein paar Worten.
Alles, was du beschreiben und anderen erklären kannst, kann die Technologie für dich übernehmen. Termine koordinieren, Protokolle anfertigen, Reisen buchen, Mails beantworten – vieles davon geht ja jetzt schon mit Hilfe eines virtuellen Assistenten wie Siri oder Alexa.
Die Angst vor dem leeren Blatt
Die Angst, die viele dann verspüren, ist die Angst vor dem leeren Blatt. Was machen wir mit unserer Zeit, wenn wir nicht in langweiligen Meetings sitzen?
Was fangen wir mit unserer so reichlich frei gewordener Zeit? Müssen wir da etwas miteinander reden? Mit unseren Kindern zum Spielplatz, ohne auf das Smartphone zu schauen? Sonnenuntergang schauen, ohne ihn zu fotografieren?
Können wir das noch?
10 Dinge, die unsere Kinder nicht erleben werden
Solche und ähnliche Artikel lese ich sehr gern. Zum einen, weil ich zwei Kinder habe. Zum anderen, weil ich mich ein wenig darauf vorbereiten will, wie diese neue Zukunft aussehen kann. Ich prüfe mich selbst: was beunruhigt mich? Wann kriege ich Angst vor etwas?
Eine der Listen könnte so aussehen:
- unsere Kinder werden keinen Führerschein machen – weil sie sich nur noch in autonom fahrenden oder fliegenden Vehikeln fortbewegen
- unsere Kinder werden nicht mehr von Lehrern unterrichtet – das notwendige Wissen kann von Androiden oder über neue technologischen Wege im Schlaf vermittelt werden
- unsere Kinder werden nicht mehr vor einem Personal Computer (PC) sitzen – dieser Hybrid einer Schreibmaschine und eines Fernsehers wird nach und nach durch andere tragbare oder überall im Raum verfügbare/aufrufbare technische Endgeräte ersetzt
- unsere Kinder werden kein Bargeld kennen – und vielleicht auch gar kein Geld als solches, weil sie nur noch über Blockchain-Strukturen oder mit ihrem Social Credits bezahlen (das in China bereits eingeführte Sozialkredit-System zeigt, dass das keine Theorie ist)
- unsere Kinder werden möglicherweise weder ihren Beruf noch ihren Lebenspartner suchen – die globale Datenbank wertet alle Daten der kindlichen und jugendlichen Entwicklung zur Verfügung und sorgt dafür, dass es weder zu persönlichen noch zu beruflichen Enttäuschungen kommt
Und spätestens beim dem letzten Punkt schreie ich auf und bekomme Angst. Denn: wer sind wir, wenn wir keine Fehler mehr machen?
Wer sind wir, wenn wir nicht zweifeln? Uns nicht aufregen? Weder weinen noch lachen? Wir sind es, Menschen, die einzigartige, aktuell fast nur uns Menschen zur Verfügung stehende Fähigkeiten haben, solche wie:
- vergeben
- faulenzen
- auf jemanden sehnsüchtig warten
- streben
- schlechtes Gewissen haben
- Mitleid fühlen
- lechzen
- Pläne schmieden
- träumen
- etwas vorhaben
- wollen
- an etwas glauben
- lieben
Wenn wir also Angst vor der Technologie haben, sollten wir aus meiner Sicht genau prüfen, wovor wir Angst haben, denn die Angst ist eine gute Warn-Boje in dem stürmischen, komplexen und dynamischen Ozean unserer aktuellen Gegenwart.
Angst vor Robotern: Wo gehen wir hin?
Bei meiner Recherche bin ich auf die Webseite “AI4people” gestoßen und mit Freude erkannt, dass es bereits seit Jahren daran gearbeitet wird, globale, gemeinsame Rahmenbedingungen für die Entwicklung und Nutzung der künstlichen Intelligenz zu entwickeln. So wie im Fall des Klonens wollen wir Menschen dafür sorgen, dass es keine ungewollten Konsequenzen unseres Handelns gibt. Viele namhafte Konzerne wirken bei dieser Bestrebung mit, damit unsere Angst vor Robotern unbegründet bleibt.
Zwei der vier Fragen aus dem White Paper des Vereins haben mir ganz besonders gefallen:
- who we can become
- what we can achieve
Schon wieder ist da diese Angst vor der Selbstwerdung. Die Befürchtung, ein weißes Blatt zu füllen – mit was?
Viele Jahrzehnte, sogar Jahrhunderte, strebten wir bloß nach Wachstum, Gewinn, Produktivität, Effizienz, Zielerreichung. Vielleicht haben wir die Angst vor der künstlichen Intelligent, weil sie uns zwingen kann, mehr Mensch zu sein?
Wenn wir aufhören in “Wer besiegt wen?” zu denken, wenn wir das Positive und die Möglichkeiten sehen, dann erkennen wir:
- dass die Technologie und die künstliche Intelligenz viele unserer Routinen-Aufgaben schneller und fehlerfreier erledigen kann
- dass das Ende dieser (oft sehr langweiliger und anstrengender) Tätigkeiten nicht das Ende der Menschheit bedeutet
- dass wir – Mensch und Maschinen – zusammen mehr können, als jeder von uns allein
- dass alles, was die Maschinen nicht machen können, uns um so mehr zu Menschen macht
Epilog
So lasst uns zu Beginn unsere Stärken stärken und uns auf die besondern Fähigkeiten und Talente besinnen. Laut vielen Studien können wir fürs erste total darauf bauen, dass niemand auf der Welt – nicht mal die schlaueste Maschine – folgende drei Dinge so gut kann wie wir:
- kritische Denkweise
- emotionale Intelligenz
- Kreativität
Und lasst uns anschließend einen Frieden mit unserer Angst vor Robotern schließen, denn diese Angst ist wichtig und nützlich, damit wir unsere Zukunft nicht verpennen.
Und zum Schluss, lasst und optimistisch und mit Freude an der Re-Humanisierung unserer Welt arbeiten. Dazu gehört für mich so ziemlich alles aus der #NewWork Ecke. Wir sollten mindestens genau so viel in die #Digitalisierung wie in die #Humanisierung investieren und dafür sorgen, dass aus uns keine (schlechten) Maschinen werden, sondern glückliche Menschen. Daher freue ich mich, wenn in den Budget-Plänen der Unternehmen folgende Hashtags auftauchen:
- Vertrauen
- Talent-Entfaltung
- Fröhlichkeit
- Zufriedenheit
- Kooperation
Und außerhalb der Arbeitswelt… Lasst uns Freude verspüren, in unserem Körper zu sein! Lasst uns lachen und weinen, Sport und Kuschelstunden genießen, einander Zeit schenken, im Wald mit Blättern rascheln und … ab und zu mit den Robotern schimpfen, falls sie das Staubsaugen oder Kaffee kochen nicht richtig erledigt haben.
Danke, dass du bis hier mit mir mitgekommen bist!
Toller Zusatz-Lesestoff: https://www.linkedin.com/pulse/psychologie-einer-automatisierten-jens-nachtwei/