Über unerwartete Freude alltäglicher Momente

petranovskaja freude

Wir streben mehr danach, Schmerz zu vermeiden

als Freude zu gewinnen.

Sigmund Freud 

Mein alter Freund Sigmund erinnert mich mit seinem Spruch daran, wofür es sich zu leben lohnt. Dafür bin ich ihm unaufhörlich dankbar. Mein neuer Freund Micha Tomoff entführt uns heute in die Welt der Positiven Psychologie. Er hat eine spannende Studie für uns im Gepäck und eine noch spannendere Übung, die ich sofort ausprobieren musste! Weil ich jeden Tag sehr gern danach strebe, Freude zu gewinnen.

Ich wünsche dir viel Spaß beim Lesen und umsetzen!

Nadja Petranovskaja Signatur

 

Die unerwartete Freude alltäglicher Momente

Wissenschaftler sind schon ein Völkchen für sich. Viele von ihnen forschen ihr Leben lang – manche um des Ruhmes Willen, andere, um ihren Wissensdurst zu stillen.

Häufig sind jedoch die Ergebnisse der Forscher so kryptisch, dass der Otto-Normal-Verbraucher mit ihnen nichts anfangen, geschweige denn aus ihnen lernen oder Nutzen ziehen kann.

Aus diesem Grund möchte ich dir heute eine Studie der Positiven Psychologie vorstellen, die du kennen solltest – alleine, weil sie dein eigenes Leben verschönern kann und hoffentlich auch wird.

Welche Erinnerungen können uns in der Zukunft glücklich machen?

Dieser Frage gingen Ting Zhang von der Harvard Business School und seine Kollegen nach (Zhang et al., 2014). Sie meinten damit nicht die großen Momente wie die Meisterschaft im Tennis, die Hochzeit mit dem Liebsten oder die Geburt Ihres ersten Kindes, die ganze Festplatten mit Bildern und Videos füllen.

Zhang und Co. fanden heraus, dass auch viel alltäglichere Dinge unerwartete Freude verschaffen können. Ihre Serie von Studien war inspiriert von unserer erstaunlichen schlecht ausgeprägten Fähigkeit, die Dinge vorauszusagen, die uns in der Zukunft Glücksgefühle verschaffen werden.

Dazu dachten sich die Forscher eine schöne Übung aus, die du sofort (jetzt und gleich) und ohne großen Aufwand zu Hause “nachbauen” kannst.

Zhang und Kollegen baten 135 Studenten, eine Zeitkapsel zu Beginn des Sommers zu kreieren, die folgende Gegenstände enthielt:

  • ein aktuelles Gespräch (als Text oder Audiodatei),
  • das letzte gesellschaftliche Ereignis, das sie besucht hatten,
  • ein Auszug aus einem Referat, das sie geschrieben hatten und
  • drei Lieblingslieder.

Als zweite Aufgabe sollten die Studenten schätzen, wie sie sich gegenüber diesen Gegenständen drei Monate später fühlen würden, wenn sie die Kapsel wieder öffneten.

Überraschung!

Das Ergebnis war überraschend: Trotz der relativ banalen Dinge in der Zeitkapsel unterschätzten die Studenten deutlich, wie überrascht und neugierig sie sein würden, wenn sie einen erneuten Blick in die Kiste werfen würden. Zhang und seine Kollegen fanden zudem heraus, dass die Zeitkapsel und deren Inhalt wesentlich bedeutungsvoller für die Versuchsteilnehmer war, als sie vorhergesagt hatten.

Wir Menschen scheinen also generell fälschlicherweise davon auszugehen, dass die gewöhnlichen Momente von heute Erfahrungen sind, die es nicht wert sind, in der Zukunft wiederentdeckt zu werden. Aber gerade dort liegen wir häufig falsch: Was heute normal und ordinär scheint, kann zukünftig tatsächlich viel außergewöhnlicher werden als wir annehmen.

Hier einige Beispiele:

  • Hast du schon mal – Monate nach ihrer Erstellung – eine Musikliste (oder für die Älteren unter den Lesern – eine alte Kassette ;) wiederentdeckt? Lieder, die dir damals normal vorkamen, weil du sie häufig hörtest, stecken heute womöglich voller Emotionen und zusätzlicher Erinnerungen.
  • Hast du mit einem Freund möglicherweise einen alten Witz zwischen euch beiden wiederbelebt, den du schon Ewigkeiten nicht mehr gemacht hast? Wie schnell können “alte Zeiten” durch solch einen Scherz wieder auferstehen!?
  • Ist dir Monate oder gar Jahre später ein Ereignis eingefallen, für das du jemandem extrem dankbar bist, weil es deine Zukunft auf eine höchst positiver Art und Weise verändert hat? Damals konntest du das noch nicht wissen, heute wärest du ohne dieses Ereignis vielleicht ein anderer Mensch. Falls du dieser Person noch nicht gedankt hast, ist es allerhöchste Eisenbahn!

Insgesamt ist die Serie von Studien von Zhang und Kollegen also eine Erinnerung an unsere Tendenz, den Wert gewöhnlicher Dinge auf unsere Zufriedenheit zu unterschätzen und uns deshalb zu wenig Zeit für ihre Dokumentation oder ihre Wiederentdeckung zu nehmen. Das Fazit ist deutlich:

Nimm deine Gegenwart nicht für gegeben.

Dokumentiere auch alltägliche Momente (z.B. anhand eines Dankbarkeitstagebuches am Abend oder eines Briefes an sich selbst, den du einen Freund zu einem späteren Zeitpunkt an dich abschicken lässt), um deinem zukünftigen Ich die Freude des Wiederentdeckens zu verschaffen.

Doch Vorsicht, sagt Zhang: Das heißt nicht, dass wir kontinuierlich von allem und jedem Fotos und Videos schießen sollten, denn das würde mit der Freude für den Moment kollidieren (den können Fotos häufig auch nicht festhalten).

Also, warum nicht heute eine kleine Zeitkapsel bauen und sich in drei Monaten oder drei Jahren davon überraschen lassen!? Was käme in Deine Zeitkapsel rein? Und in welcher Ecke deiner Wohnung könntest du sie irgendwann in der Zukunft zufällig wiederentdecken?

Autoreninfo

petranovskaja tomoffMichael ist Diplom-Psychologe, Autor, Coach und Trainer und beschäftigt sich in Bonn nicht nur beruflich leidenschaftlich mit der Positiven Psychologie. Er schreibt mittlerweile an seinem vierten Buch über diese noch junge Wissenschaft, weil er durch das Schreiben am besten lernt ;)

Sein Blog Was Wäre Wenn – Coaching und Positive Psychologie lädt zum Nachdenken, Schmunzeln und Nachmachen ein.

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