Ein Kind rennt glücklich der Straße entlang, hinter dem Kind stolze Eltern mit Großeltern. Plötzlich fällt das Kind hin. Eine kurze Pause – vielleicht ist ja nichts passiert – doch dann fängt das Kind an, bitterlich zu weinen und ruft damit die Mutter.
Die Mutter eilt herbei, pustet, streichelt liebevoll das Köpfchen und sagt die berühmten Wörter, die wir alle schon mal gehört haben:
Ist doch nicht so schlimm.
Nun, in diesem Moment lernt das Kind viele Sachen. Zum Beispiel: Eigene Schmerzen zu beweinen ist unerwünscht. Andere wissen besser als ich, wann es schlimm ist.
Zehn, Zwanzig, Dreißig, Vierzig Jahre später erinnert sich das Kind, das nun erwachsen geworden ist, immer noch an dieses Maß der Dinge. Wann immer es Schmerz empfindet und gern weinen würde, weint es nicht. Wann immer es fühlt, boah, ist es viel und schwierig, orientiert es sich daran, ob andere – die Außenwelt – das auch so empfindet.
Das, worüber sich alle die Mäuler zerreißen, gilt dann als Maß der Dinge. Über andere Themen sprechen wir nicht und schon gar nicht zeigen wir, wie sehr wir leiden.
In Mexiko, so habe ich gelernt, geht das soweit, dass Freundinnen untereinander überhaupt nicht über ihre Probleme sprechen, dafür geht man zum Therapeuten. Worüber redet man dann mit Freundinnen? Erkundige ich mich. Naja, es wird ja Grund geben, dass das Telenovela-Format aus dieser Ecke der Welt stammt…
Wie kannst du nun verlernen, was du ganz früh im Leben adaptiert hast? Wie kannst du wieder deiner eigenen Wahrheit folgen und selbst bestimmen, was in deinem Leben schlimm ist – zum jeweiligen Zeitpunkt können es ja auch ganz unterschiedliche Dinge sein.
In den letzten Monaten habe ich viele Komplimente dafür bekommen, wie Klasse ich das alles gemeistert habe, was es zu meistern gab und dachte mir: wenn sie wüssten, wie schlimm es für mich teilweise war! Nach außen sah es halt immer taff und leicht aus, doch in mir drin, da war es anders.
Und das möchte ich ändern. Ich möchte die berühmte Vulnerabilität, von der wir seit dem gefeierten Video von Irene Brown sprechen, tatsächlich ausleben. Mir die Blöße geben, etwas nicht zu wissen oder nicht zu können und nach Hilfe zu fragen.
Jetzt gerade ist ein guter Zeitpunkt dafür, denn ich bin seßhaft geworden. Habe eine Wohnung, die gerade renoviert wird – und wo ich mir, weil ich ja so stark bin, mal wieder eine Sehnenentzündung geholt habe – statt um Hilfe zu bitten mit den ganzen Tapeten. Ich habe mir ein Auto gekauft und habe wirklich Schwierigkeiten, den Reifendruck zu prüfen oder Frostschutz in das richtige Gefäß unter der Haube zu gießen.
Ich kann dafür andere Dinge richtig gut, und dazu gehört zum Beispiel, Menschen in ihre Zukunft zu begleiten und magische Rituale zu zaubern, nun nicht nur online, sondern auch an physischen Orten.
Schau in dich hinein – sei ehrlich mit dir selbst und erlaube dir, ab und zu deine Grenzen anzunehmen. Wenn etwas schlimm ist, kannst nur du das fühlen, wissen und aussprechen.
So sei es, Àṣẹ
(Àṣẹ ist ein heiliges Wort der Yoruba-People in Westafrika, und ich benutze es ganz bewusst, um meinen Worten Kraft, Richtung und Leben zu geben. Es bedeutet so viel wie: „So sei es“, oder genauer: die schöpferische Energie, die Worte, Gedanken und Handlungen Wirklichkeit werden lässt.)

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