Viele Menschen verstehen immer noch nicht, wieso ich das gemacht habe. 2023 habe ich nach und nach losgelassen, was in unserer Kultur als erstrebenswert und wichtig gilt: eine Beziehung, eine Wohnung, ein Auto, die Sicherheit eines festen Wohn- und Arbeitsortes. Ich habe mich vom Großteil meiner Kleidung verabschiedet und sogar von vielen meiner Bücher.

Meine mir wichtigen Dinge werden in einem Storage Raum in Hamburg aufbewahrt, und mit jedem Monat werden sie unwichtiger. Lediglich Erinnerungsstücke aus meiner Kindheit und der Kindheit meiner Kinder würde ich im Zweifelsfall für jedes Geld der Welt mit mir zu einem neuen Wohnort transportieren wollen, den Rest kann ich … loslassen.

Vor vielen Jahren habe ich mit einem Coach an der Heilung meiner Kindheitsthemen gearbeitet, und er hat mir diesen Satz geschenkt: Letting go is not giving up, was auf Deutsch so viel heisst wie “Loslassen heißt nicht aufgeben”.

Loslassen bedeutet Freiheit. Freiheit bedeutet Vertrauen. Vertrauen bedeutet Annahme von dem, was ist.

Loszulassen, etwas aus den Händen und aus Erinnerung verschwinden zu lassen, ist für unser Ich ein schmerzlicher Prozess seit wir Jäger und Sammler waren. Das Gehirn signalisiert Verlust, und wir wehren uns dagegen, denn Verlust bedeutet evolutionstechnisch ein Risiko. Selbst Menschen wie ich, die alles, was neu ist, begrüßen und lieben, fühlen sich in der Gegenwart vertrauter Dinge sicherer als ohne. Darum ist mein Reisekoffer auch eher schwer als groß und beinhaltet zB viele Lieblingsstifte und mehr Papier als Schuhe.

Papier und Stifte fühlen sich doch in einem festen Zuhause viel sicherer als in einem Koffer, der von A nach B zieht und in zwei Jahren in 17 Ländern gewesen ist? Seufz. Da ist was dran. Ich schau aus dem Fenster in einer gemütlichen mexikanischen Studentenstadt und denke nach.

Ich hätte so gern ein Zuhause. Für mich und meine Stifte. Viele Menschen verstehen nicht, warum das so schwer für mich ist, mich an einem Ort zuhause zu fühlen. Ich habe darauf keine Antwort – bloß Vermutungen. Zum Beispiel, dass es Erbe meiner Herkunft ist – beide meine Elternteile sind sehr viel umgezogen, bis sie in etwa meinem Alter waren. Oder dass es zu unserer Zeit passt, in der wir jetzt leben – mit den vielen Umbrüchen im Außen scheint mir auch mein Bruch passend. Und dass ich etwas vorlebe, wonach sich viele sehnen – eine innere und äußere Freiheit, Reisen, selbstgesteuerte Entscheidungen.

Es ist jeden Tag eine Herausforderung. Ob in einem Wald in Belgien oder am Strand in meiner geliebten Stadt San Diego, es vergeht kein Tag, an dem ich mir nicht bewusst bin, mit wie vielen Unsicherheiten und extra Schwierigkeiten ich mein Leben vollgeladen habe. Oft vermisse ich meine Kinder und die Menschen, die mir lieb sind – und auf viele Länder der Welt zerstreut sind. Manchmal ist es anstrengend, mich in einem neuen Supermarkt zurechtzufinden. In manchen Ländern funktionieren meine Kreditkarten oder PayPal nicht, woanders kosten Unterkunft und Auto für Ausländer mehr als für Locals.

Local bin ich in einem Land, in dem mich nur noch liebe Menschen festhalten. Wenn ich zurück fliege nach Deutschland, geht es meistens um meine Kinder und Freunde. Wobei die Kinder nur noch teilweise hier leben. Wer weiß, vielleicht gelingt es dem Universum, mich mit diesem Land zu versöhnen … Aktuell fühlt sich das Loslassen leicht und gut an.

Denn Loslassen heißt nicht, dass ich aufgegeben habe. Loslassen bedeutet, mit freien Händen und einem tiefen Atemzug durchs Leben zu gehen. Loslassen ohne aufgeben bedeutet für mich, dass ich mir und dem Leben vertraue und mich darauf einlasse, was das Leben für mich bereit hält. Einfach ist es nicht, und es wird nicht einfacher – es wird anders.

Loslassen ist nicht Versagen. Stärke, nicht Schwäche. A feature, not a bug.

Loslassen bedeutet Freiheit. Freiheit bedeutet Vertrauen. Vertrauen bedeutet Annahme von dem, was ist.

Und für dich hier habe ich eine Frage:

Was würdest du loslassen, wenn du wüsstest, dass es nicht bedeutet aufzugeben – sondern zu vertrauen?

Viel Freude mit deinen Antworten!
Àṣẹ

PS: Lust auf entspannte und tiefgreifende Diskussion und einladende Rituale zum Loslassen? Komm in mein Schloss in Belgien zu dem More Shiny Eyes Wochenende und erlebe, was du ggf. loslassen möchtest – wie ein Baum im Herbst, der sich von den Blättern des letzten Sommers verabschiedet…

Vom 24. bis 26. Oktober 2025 werden wir in einer sicheren und ganz besonders magischen Atmosphäre in einer kleinen Gruppe sein, und ich freue mich auf dich!