Spätsommer in Italien… Kann mich bitte jemand kneifen? Als die Daniela mich fragte, ob ich zu ihr in das noch nie genutzte Airbnb kommen mag, um es für das nächste Jahr einzuweihen, war ich skeptisch. Mitten im Nirgendwo liegt ein Haus zwischen Bauernhof und Bushaltestelle, beide Ziele jeweils 2 Kilometer entfernt.
Doch ich mag das hier. Sehr. Die Natur tut einfach gut, und über den Rest der italienischen Paradies-Eigenschaften brauchen wir uns wirklich nicht unterhalten. Essen, Eis, Musik, und bis nach Mailand oder Florenz sind es nur 2 Stunden Fahrt. Und dazwischen, da sitze ich auf der Veranda meiner Unterkunft und schaue ins Grüne, ganz wie bei Loriot: Ich möchte einfach nur hier sitzen. Oder wie Astrid Lindgren schrieb:
Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach da zu sitzen und vor sich hin zu schauen.
Astrid Lindgren
La Famiglia
Das Schönste jedoch an meinem Aufenthalt hier ist der Familienanschluss. Ja, das Sonntagsessen bei der Mama, mit Onkeln und Neffen und selbstgerechter Pasta. Und neulich, da wurde ich mitgenommen, um 100 Kilo Tomaten in den Soßen-Vorrat für den Winter zu verwandeln.
Francesca (die Mama) hat bestimmt morgens um 6 bereits angefangen, denn als wir in die Küche kamen, waren bereits 7 Töpfe mit halbierten Tomaten vorgekocht. Alles handgewaschen und mit der Hand geschnitten, und Francesca ist 84 Jahre alt. Während wir zu dritt die Soßenmaschine bedienen, schiebt sie weitere Töpfe vom Herd in unsere Richtung. 100 Kilo sind 100 Kilo, und wir wollen bis zum Mittagessen fertig werden.
Ich stehe also da und achte darauf, dass die 30 Jahre alte Tomaten-Quetsch-Diva nicht zu viele roten Früchte auf einmal bekommt. Und ich konnte nicht umhin, über die Freiheit nachzudenken, die mir dieser Akt des Kochens bot. Da sehe ich irgendwo in Italien und kann machen, was ich will. Freiheit, so fühlt sich diese an. Wenn ich Menschen coache, dann achte ich auch darauf, dass wir in unserem Alltag Anker finden. Das Gefühl ist das, was wir am Ende haben wollen, ein gutes Gefühl.
Gehobene Gestimmtheit
Und ich hatte ein verdammt gutes Gefühl. Seit Monaten schon genieße ich die Freiheit zu reisen und neue Orte zu erkunden, und es ist eine Bereicherung für mein persönliches Wachstum. Je öfter ich meiner Neugier nachgebe und meine Ängste überwinde, desto öfter spüre ich die gehobene Gestimmtheit (oder Happy High) und desto mehr nähere ich mich mir selbst. Ein Topf nach dem anderen verwandeln sich Tomaten in eine rote Soße, und so verwandelt sich mein Nomadenleben ein Monat nach dem anderen in ein Selbstbewusstsein, eine einzigartige Erfahrung.
Die dunkle Seite der Freiheit
Doch die Freiheit hat auch ihre Schattenseiten. Es ist viel weniger die Einsamkeit, nach der mich so viele fragen. Ich bin nie einsam. Zum einen habe ich mich und zum anderen all die anderen Menschen, mit denen ich mich verbunden fühle. Viel schwieriger ist die permanente Verantwortung, die ich spüre. Ich kann niemanden für meine Situation verantwortlich machen außer mich selbst. Schmeckt die Tomatensoße nicht, dann waren vielleicht die Tomaten nicht reif. Aber wenn mir mein Leben nicht schmeckt, so kann ich nur mich selbst anschauen und fragen: Was hast du denn da gemacht?
Und dich würde ich das Gleiche fragen, wenn du und ich einen Tee trinken würden und du dich über dein Leben beschweren würdest.
Die Kunst des Lebens in der Dualität
Viele Menschen streben nach Balance. Nach einer ausgeglichenen Mischung zwischen Arbeit und Freizeit, Verbundenheit und Unabhängigkeit, Wechsel und Stabilität. Manche Philosophen behaupten, diese Balance gibt es nicht, weil aus der Dis-Balance die Energie für die Entwicklung entsteht. Nur weil uns etwas nicht gefällt oder fehlt, stehen wir morgens auf.
Ist das so? Ich bin mir noch nicht sicher. Das Leben ist oft ein Spiel von Gegensätzen. Freiheit und Bindung, Verstehen und Erklären, Gewinnen und Verlieren. Als Psychologin unterstütze ich Menschen im Coaching immer wieder dabei, die Dualität des Lebens zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen. Das Große im Kleinen sehen, das Richtige im Falschen. Und in meinem Fall geht es auch hier in Italien darum, die Freiheit zu schätzen, während ich gleichzeitig Beziehungen pflege.
Oh, die armen Tomaten!
Während ich die Tomatensoße in Gläser fülle, denke ich darüber nach, wie wunderbar es ist, frei zu sein. Die Tomaten konnten sich nicht entscheiden und werden in die Gläser eingesperrt. Die vielen bauchigen Gläser werden nun von der unermüdlichen Mama in große Kessel gestellt, mit Wasser übergossen und zum Konservieren gekocht. Eine Ladung auf dem Gasherd, eine Ladung draußen, über einem echten Feuer.
Und wie von Zauberhand füllt sich der große lange Tisch im Garten mit italienischen Leckereien inklusive der hier berühmten Tortelli mit grüner Füllung, und es wird über das Essen gesprochen. Mein Italienisch hat das Niveau eines Hundes erreicht: Ich verstehe das meiste, kann aber nicht sprechen.
Würde ich nicht mit einem Koffer reisen, bekäme ich ein paar Gläser mit der Soße als Geschenk. So darf ich diese unvergessliche Erinnerung und meine Gedanken über Nähe und Distanz, Familie und Freiheit als Geschenk betrachten und dich einladen, das Gleiche zu tun. Denn auf eine magische Weise gibt es in jeder Situation mindestens zwei Seiten, und es lohnt sich, beide Seiten zu betrachten.
In diesem Sinne, lasst uns gemeinsam die köstlichen Nuancen des Lebens erkunden! Erzähle gern deine Geschichte dazu in den Kommentaren.
Ciao, Nadja
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